Ghardaia/Algerien: Eier für Sellal und Hochachtung für seinen gefeuerten Staatssekretär

metlili 9.4.

von Birgit Manzke

Präsidentschaftswahl 17. April: „Bouteflikas Wahlhelfer, der ehemalige Ministerpräsident – Abdelmalek Sellal, im Wespennest“, könnte man fast sagen, wenn man an die Provinz Ghardaia denkt. Seit Dezember herrschen dort fast ununterbrochen Unruhen, mittlerweile sind 7 Todesopfer zu verzeichnen. Rassenkonflikte zwischen Chaambas und Mozabiten beherrschen das Tagesgeschehen. Niemand aus der Regierung hatte sich bisher um die Vorkommnisse dort gekümmert, es gab zwar hin und wieder Regierungsbesuch, aber mehr als leere Versprechen wurden nicht gemacht. Bereits zum Wochenbeginn kam es in Ghardaia erneut zu Ausschreitungen, 40 Verletzte, in Brand gesetzte Häuser und geplünderte Geschäfte sind das bisherige Ergebnis der letzten Tage. Die Fahrzeuge – von Sellal und seinen Begleitern, wurden in Ghardaia mit Steinen und Eiern beworfen, das Team musste mehrfach seine Rute ändern, um letztendlich im 40 Km südlich gelegenen Metlili, eine der drei – für diesen Tag geplanten – Wahlwerbeveranstaltungen in einer Sporthalle abhalten zu können. Gestern äußerte sich sein ehemaliger Staatssekretär – Dr. Messaitfa, im algerischen Fernsehen zu der Problematik in Ghardaia. Messaitfa wurde trotz seines hohen Potentials – was Algerien eigentlich benötigt, im September kommentarlos aus zwei Ämtern entlassen, er war Staatssekretär von Sellal und Minister für Planung und Statistik. Messaitfa stammt aus der Region, er hatte schon während seiner Ministerzeit vor aufkommenden Unruhen in Ghardaia gewarnt. Nach seinem Vortrag am 20. März, in den Vereinige Arabische Emiraten ( Stadt Chariqa) und seiner anschließenden Ehrung durch den Präsidenten der Industrie-und Handelskammer – um seine Bemühungen für eine Freihandelszone zwischen den arabischen Staaten – kehrte Messaitfa nach Algerien zurück. Er gründete eine Initiative, die Frieden zwischen den Konfliktparteien in Ghardaia stiften soll. Zwischen dem 29. März und 5. April traf er in Ghardaia einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik,Wirtschaft und Bildungswesen sowie Personen aus dem Ältestenrat, um mit ihnen über eine Problemlösung zu sprechen. Gemeinsam will man nun das Übel an der Wurzel packen und zwischen den beiden – sich bekämpfenden Volksgruppen – vermitteln. Da es sich zumeist um jugendliche Randalierer handelt ist die positive Einflussnahme von Lehrpersonal an Schulen und Universitäten besonders wichtig, auch Psychologen sollen involviert werden. Messaitfa sagte, dass seine Initiative erst endet wenn Waffenstillstand eingetreten ist und durch konkrete Maßnahmen, auf den Boden der Provinz, eine stabile Sicherheitslage gewährleistet wird. Applaus für Messaitfa: Die algerische Bevölkerung honoriert seine Bemühungen und so kann man auf seiner Facebook-Seite immer wieder anerkennende Worte und Danksagungen finden. Sellal widmete sich bei seiner Wahlkampagne heute nun auch dem Thema „Rassenkonflikt“ und versprach, sich – nach der Wahl, um diesen Konflikt zu kümmern. „Ich werde – nachdem die neue Regierung installiert ist, wiederkommen und mich um die Problematik hier kümmern. Ich werde so lange bleiben, bis das Problem behoben ist“, versprach er. Ein junger Mann aus dem Publikum rief Sellal am Ende dessen Rede zu: „ Und wo war Bouteflika all die Zeit seit dem Beginn des Konfliktes?“ Dieser Zwischenruf wurde ignoriert und Sellal verließ die Räumlichkeiten. Erneut flogen Eier und Steine, eine alte Frau wurde versehentlich am Kopf getroffen. „Verschwinde Sellal“, „Keine vierte Amtszeit für Bouteflika“, hallte es ihm nach. Unter Polizeischutz wurde Sellal zu seinem Auto begleitet, während die Presse im Raum eingeschlossen blieb – so die algerische Zeitschrift El Watan. Eine halbe Stunde später unterhielten sich Reporter – oben genannter Zeitschrift – mit jungen Einwohnern von Metlili. „Wir – die Jungen, lehnen ein viertes Mandat von Boueflika und auch allen anderen Kandidaten ab. Wir waren auf der Straße, um die Zufahrt für Sellals Prozession zu blockieren. Er versuchte mit uns zu sprechen, aber unsere Antwort war: „Sellal verschwinde, du bist unerwünscht, gehe nach Hause.“ Die jungen Männer erklärten warum diese Ablehnung: „ Sellal ist in allen südlichen Regionen nicht willkommen, er sagte schlechte Dinge über die Leute im Süden und über die Arbeitslosen hier. Dann verteilten wir, rund um den Tagungsraum, unsere Transparente mit den Schriftzügen: „Wir sind Algerier“, „Nein zu Oujda“(Oujda – der Geburtsort Bouteflikas aus dem auch viele seiner Minister stammen), „Nein zum DRS“(algerischer Geheimdienst), „Milliarden Dollar und die Jungen sind auf der Straße“, „ Durch unser Handeln sagen wir, es wird keine Wahlen in Metlili geben.“ Zeitgleich zum Interview, wurde ein Reporterteam von Ennahar eingekesselt, um sie von ihrer Berichterstattung abzuhalten. Ähnliche Vorfälle gab es bereits letzte Woche in Bejaia, wo ein Journalist von Ennahar-TV verletzt wurde und deren Auto in Flammen aufging. Ennahar behauptet von sich frei zu berichten, diese Vorfälle sprechen jedoch eine andere Sprache. Sellal unterdes auf dem Weg nach Béni Izguen zu den „Weisen“ der Stadt. Dort schmetterte er eine Stunde später seine Parolen: „ Wir sind alle Muslims, wir sind alle Algerier, das Ghardaia von heute ist nicht von gestern. Algerien ist vereint.“ Anwesend, ausgesuchtes Publikum aus der mozabitischen Bevölkerung, Leute die nicht widersprechen und zur Begrüßung friedlich und gehorsam die Nationalhymne trällerten. Zeitgleich auch ein Treffen der Ausgeschlossenen – derer, die gerne etwas zu Sellal gesagt hätten, sie teilten ihre Meinung den Reportern der El Watan mit:„Wir Mozabiten distanzieren uns von dieser Wahlmaskerade, die Anwesenden – die Sellal ihren Zuspruch gewähren, sind Minderheiten unter uns“, so Noureddine Daddi Nounou. Er sagte weiter, dass der Ausschluss von Sellals Rede ihn weniger interessiert, als die besorgniserregende Situation in dieser Region. Fazit: Eier und Steine für Sellal und Lobpreisung für seinen gefeuerten Staatssekretär.

Video heutiger Tag in Ghardaia/Metlili: Zusammenfassung der Journalisten der El Watan. Welcher Mozabit kann noch aus Überzeugung jubeln, während beispielsweise ein Glaubensbruder nur ein paar Monaten zuvor auf grausamste Weise ausgeweidet wurde und der Staat nichts unternommen hat?: http://www.youtube.com/watch?v=mFdFeMrVqkE#t=12

Quelle Foto – El Watan: Metlili 9.April

 

Nachtrag: Nur kurze Zeit nach der Präsidentschaftswahl nahm Abdelmalek Sellal sein Amt als Ministerpräsident natürlich wieder wahr. In der algerischen Politik muss man flexibel sein und Wahlkampf – für Bouteflika – ist natürlich wichtiger als das Amt des Ministerpräsidenten.

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